Die heiße Kartoffel der Verantwortung

„Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die nur auf globaler Ebene bewältigt werden kann.“ Das war der erste Satz eines Artikels in der letztwöchigen Ausgabe des SPIEGEL. Doch was heißt es, dass man die Herausforderung nur auf globaler Ebene bewältigen könne? Zunächst einmal heißt es, dass ein Individuum allein nicht dazu in der Lage ist, die Welt zu retten – logisch, wir sind schließlich nicht in einem Superhelden-Film. Aber es heißt auch nicht, dass ein Individuum nichts zur Weltrettung beitragen kann.

Es entsteht häufig der Eindruck, dass ein Individuum überhaupt keinen Einfluss hat, doch die mindestens 7 Tonnen CO2, die jeder in Deutschland im Schnitt jährlich ausstößt (je nach Quelle sind es sogar bis zu 10,4t), sagen etwas anderes. 7 Tonnen CO2 – das ist ca. so viel wie 12 durchschnittliche Milchkühe, 92 Menschen oder 5 benzinbetriebene Autos. Also verdammt viel. Zum Vergleich: Laut dem Umweltbundesamt liegt das Ziel des pro-Kopf-Ausstoßes bei einer einzelnen Tonne CO2.

Es gibt viele Argumente, die dafür sprechen, Menschen nicht allein dafür zu verurteilen, dass sie diese Mengen CO2 ausstoßen, wir wissen schließlich meist nichts über deren sonstige Lage: Für einen Vater, der jeden morgen seine Kinder in die Schule fahren muss oder eine Frau, die jeden Tag 50km zur Arbeit fährt ist ein Lastenfahrrad einfach keine praktikable Option, und oft ist der Benziner halt einfach schon da und das neue Elektroauto schlicht zu teuer. Doch umso mehr müssen wir darauf achten, an solchen Stellen, an denen Klimaschutz für uns eine praktikable Option ist, uns auch für diese zu entscheiden!

Wir können nicht darüber bestimmen, welches Auto der Kollege fährt oder mit welcher Heizung unser Nachbar heizt, aber wir können unser Bestes geben, selbst mit gutem Vorbild vorranzugehen und an der ein oder anderen Stelle mal auf das Schweinenackensteak, den Mallorcaflug oder den neuen SUV zu verzichten, und vielleicht zumindest mal die Hafermilch, das Tofuschnitzel und den öffentlichen Nahverkehr auszuprobieren… kann ja nicht schaden. Und wenn man es sich leisten kann, sind E-Autos, Solaranlagen und eine neue Heizung auf lange Sicht mit Sicherheit sowieso praktikabler – mit dem schönen Nebeneffekt, dass man Scheichs und Diktatoren nicht weiter mehr Geld schenkt als sie verbrauchen können.

Zuvor wurde im SPIEGEL dafür argumentiert, dass die Bemühungen Einzelner für den Klimaschutz nicht nur rechtlich und moralisch irellevant, sondern sogar negativ zu bewerten wären. Denn – so der Gedanke – wenn in Deutschland weniger CO2 ausgestoßen wird, würde das andere Länder ja geradezu dazu einladen, mehr CO2 auszustoßen, als sie es sonst getan hätten. Außerdem wird es ja nicht bestraft, sich nicht an das Pariser Klimaabkommen zu halten, wozu also der ganze Aufwand?!

Selbst wenn andere Länder ein solch scharfes Auge darauf hätten, wie viel CO2 Deutschland ausstößt und wie das im Zusammenhang mit dem eigenen Ausstoß steht, wie es der Artikel impliziert, ist das doch kein Argument gegen Klimaschutz in Deutschland und von Einzelnen! Schließlich haben wir Europäer mit dieser Sauerei ja auch zuerst angefangen – die industrielle Revolution war eine sehr europäische Angelegenheit – also sollten wir vielleicht auch als erste wieder damit aufhören.

Wenn es heißt, Deutschland produziere doch „nur“ 2% der globalen Emissionen, muss dabei beachtet werden, dass es fast 200 Länder auf diesem Planeten gibt – ein Drittel davon größer als Deutschland (Deutschland hat einen Anteil von ca. 0,27% an der weltweiten Landfläche) – wodurch sich unser fairer Anteil an den Emissionen also bei unter 0,5% der globalen Gesamt-Emissionen bemisst. Historisch gesehen liegt Deutschland mit einem Beitrag von 3,5% an den globalen CO2-Emissionen auf Platz sechs. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland sowohl jährlich als auch historisch auf dem ersten Platz. Es gäbe also Grund zu der Annahme, dass die Bewohner Deutschlands durchaus ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten haben.

Und auch wenn zuletzt der Klimaschutz durch den Einzelnen im SPIEGEL als „unberechtigte Gewissensbefridigung“ bezeichnet wurde, ist es doch schön zu wissen, dass man selbst seinen Teil zu einer friedlichen Zukunft bestmöglich beizutragen versucht.

Sind individuelle Maßnahmen wie die heimische Solaranlage, der Hafermilch-Macchiato, das Lastenrad oder der Secondhand-Pulli also wirklich geeignet, den Unterschied zu machen? Können sie das Ende des Klimawandels herbeiführen? Natürlich nicht, aber sie sind ein Anfang. Und jeder größere Wandel braucht einen kleinen, oftmals unerwartet anstrengenden Anfang – wer schonmal versucht hat, eine Gewohnheit zu ändern, weiß das.

Heißt das, wir sollten uns in jeder sich bietenden Gelegenheit in Debatten stürzen, hitzige Diskussionen führen und den Keil, der sich in unserer Gesellschaft befindet weiter hineintreiben? Natürlich nicht, schließlich ist der Klimawandel eine globale Herausforderung, die wir nur bewältigen können, wenn ein Großteil der Gesellschaft an einem Strang zieht – und das geht nur, wenn wir uns untereinander nicht zu sehr verabscheuen.

Im Endeffekt kommt es nicht darauf an, wer die kontroversesten Artikel schreiben kann, sondern wie wir aus einem Gegeneinander ein Miteinander und aus der verbreiteten Angst davor, Privilegien aufgeben zu müssen, eine Zuversicht auf bessere und harmonischere Zeiten machen können.

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