Wie umgehen, mit der AfD fragte vor kurzem auch Dirk Kurbjuweit im Spiegel? Eine Frage mit der Journalisten seit Jahren ringen, und das immer schon mit dem Vorsatz, bloß keine Normalisierung zuzulassen. Indem man sie auf diese Weise immer besonders behandelt hat, hat man sie allerdings auch zu etwas Besonderem gemacht, um das man sich ganz besonders kümmert – dauernd. Kein Tag und so gut wie kein Artikel mehr bei dem die AfD nicht mindestens im Hintergrund mitläuft. Themensetzung und Diskursausrichtung orientieren sich beinahe durchgehend daran. Mit dem Ergebnis: Man hat die Besonderheit normalisiert. Die Allgegenwart der AfD ist zu einer Normalität geworden, die durch Sonderbehandlung nur an Attraktivität gewinnt. In den Niederungen der langweiligen Normalität, wie sie alle anderen irgendwann einholt, kommt die Partei so niemals an. Der Umgang mit der AfD ist obsessiv geworden, was reichlich Wasser auf ihre Mühlen schwemmt.
Problemverwandlung
Gepflegt wird diese Obsession, indem reichlich Problembeschreibungen der Partei übernommen und in den Mittelpunkt gestellt werden. So verwandeln sich kleine Probleme zu großen und lösbare Probleme zu unlösbaren.
Gendern etwa war und ist kein Problem. Es tut niemandem weh und niemand wird gezwungen, entsprechend zu sprechen oder zu schreiben. Erst haben sich Konservative und Journalisten einreden lassen, das Gendern würde ihnen in irgendeiner Weise etwas verbieten und tief in ihr Leben eingreifen, sodann machen eben diese vermeintlichen Opfer genau das: Sie wollen anderen vorschreiben, wie sie zu formulieren haben. Sie wollen eine Sprache, die allen gehört, nach ihren Vorstellungen anderen aufzwingen. Sie wollen nicht akzeptieren, dass Sprache sich immer schon verändert und dass sie niemandes Eigentum ist. Dass Gendern ihnen nicht gefällt, wie sie nicht müde werden, andere wissen zu lassen, kann kein Argument sein, denn schön ist auch ihr eigener Gebrauch der Sprache oft genug nicht. Abgesehen davon, dass diejenigen, von denen sie ihre einfältige Haltung übernommen haben, nicht nur oftmals selbst sich äußerst plump der Sprache bedienen, sondern diese auch noch dazu nutzen, andere zu bedrohen und zu schaden. Nicht das Gendern ist eine Bedrohung für irgendwen oder irgendwas, sondern deren Gegner! Es wurde ein Problem geschaffen, wo keines war.
Migration wiederum war und ist ein Problem: nicht nur für die Ankunftsländer, sondern auch für die Herkunftsländer und nicht zuletzt für die Migranten selbst. Womöglich ist das der Ankunftsländer sogar das kleinste Problem von allen, denn immerhin gewinnen sie oftmals motivierte Arbeitskräfte hinzu, die gerade in Ländern mit sinkender Bevölkerungszahl Lücken schließen können. Migration hat es immer gegeben und wird es immer geben und ja, sie geht nie reibungslos von Statten. Sie ist ebenso unausweichlich wie nötig. Die Frage ist deshalb nicht, wie sich Migration verhindern, sondern wie sie sich sinnvoll gestalten lässt. Die AfD hat es geschafft, Migration zu einem Reizthema aufzuladen, das jede Diskussion zur Ausgestaltung unmöglich macht. Vor lauter Fixierung auf die Verhinderung wird fortwährend über eine zwei- bis dreistellige Zahl von Abschiebungen und eine drei- bis vierstellige Zahl von Abgewiesenen an der Grenze (die es dann freilich auf anderem Wege wieder versuchen) berichtet, statt über die hunderttausende anderen Migranten. Sinnvolle Ansätze sind unmöglich, undiskutierbar, unsagbar, das Thema Migration unlösbar geworden. Abschottung jedenfalls kann weder gelingen, noch wäre damit auch nur ein einziges Problem gelöst.
Problembeschreibung
Probleme, so viel ist klar, gibt es zuhauf. Mit welchen davon wir uns befassen, hängt davon ab, welche Problemsetzungen wir übernehmen; und wie Lösungen aussehen können, hängt davon ab, mit welchen Problembeschreibungen wir loslegen. Beides lassen wir uns seit Jahren von der AfD vorgeben, ohne auf irgendeinem Gebiet relevante Fortschritte erzielt zu haben. An Beschäftigung mit den immer gleichen Themen hat es nicht gemangelt. Daran lag es nicht. Sondern daran, dass die Auffassung des Problems plump von der AfD übernommen wurde, womit sie sogleich als richtig Anerkennung erfahren hat. Längst muss es den Bürgern so vorkommen als ob die AfD die richtigen Probleme in der richtigen Weise benennt, so willfährig wie andere ihre Setzungen aufgreifen.
Doch so, wie die Wahrnehmung der Problemlagen von der AfD einfach übernommen werden, verlängern sie sich in alle Ewigkeit. Migration wird immer mit Kriminalität einher gehen, weil jedes Zusammenleben, auch nicht-migrantisches, Kriminalität mit sich bringt; und sie wird unter Migranten immer erhöht sein, weil diese notwendig mit schwierigen Lebenslagen, kulturellen Umbrüchen und biographischen Herausforderungen konfrontiert sind. Ebenso wird sich Gendern nie wieder aus der Welt schaffen lassen, selbst wenn es ausgerechnet diejenigen verbieten wollen, die ständig davon reden, dass ihnen jemand etwas verbieten wolle. Indem wir uns an ihren unlösbaren Problemstellungen abarbeiten, erweisen wir der AfD unsere Dienste.
Übernommen werden deren Problembeschreibungen allerdings nicht nur von anderen Parteien, sondern auch von den Wählern. Warum? Weil sie keine anderen mehr zu hören bekommen. Andere Parteien scheinen sich schon gar nicht mehr davon sprechen zu trauen, dass Migration unvermeidlich und auch dringend nötig ist, weshalb es eigentlich nur noch um die Frage der Ausgestaltung gehen kann. Auch scheint es immer mehr Menschen schwer zu fallen, es als selbstverständliche Freiheit anzusehen, dass jede Person sprechen, sich geben und fühlen darf, wie sie möchte, so lange sie damit anderen nicht schadet. Plump wird die Problemsetzung der AfD übernommen und siehe da, sobald keine andere mehr vernehmbar ist, halten die Leute sie für richtig.
Noch weiter in die Sackgasse manövrieren sich Politiker und Journalisten, wenn sie meinen, man müsse die Sorgen der Wähler (wobei vorrangig AfD-Wähler gemeint sind) ernst nehmen. Damit erscheint die Position der AfD, welche diese Wähler sich zu eigen gemacht haben, abermals bestätigt. Damit wird der Ablauf aber auf den Kopf gestellt: Es war ja nicht die AfD mit ihren anfänglich wenigen Anhängern, welche die Sorgen der Menschen artikuliert hat, sondern ihre Themen wurden zu den Sorgen der Menschen gemacht. Von der Partei selbst in schrillen Tönen, aber zunehmend auch von Journalisten, anderen Parteien und sogar Wissenschaftlern. Zunächst nur Boulevard und Konservative, mittlerweile aber das ganze Spektrum.
Aufklärung
Warum die AfD schrumpfen sollte, wenn wir ihre Beschreibung der Sorgen übernehmen, bleibt dabei völlig rätselhaft. Zumal diese Sorgen dort am größten sind, wo kaum Migranten leben und sich niemand zu gendern traut. Es sind medial erzeugte Sorgen, die nicht zuletzt so groß wahrgenommen werden, weil sie in den (Sozalen) Medien groß gemacht werden. Statt diese Sorgen einzuordnen, werden sie befeuert. Statt aufzuklären, wird dramatisiert. Statt überzogene Erwartungen einzudämmen, werden diese noch bestärkt. Selbstverständlich ist jede Gewalttat schrecklich und sollte verhindert werden, aber das gilt auch für jeden Verkehrsunfall. Beides wird trotzdem nie ganz zu verhindern sein, allerdings ist es deutlich unwahrscheinlicher Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden.
Die Aufgabe des Journalismus wäre es eigentlich, den selbstgerechten Aufpeitschern und anspruchsvollen Jammerlappen nicht auf den Leim zu gehen, sondern Fakten sprechen zu lassen und andere Perspektiven aufzuzeigen. Doch das geschieht selbst in der seriösen Presse kaum:
Beispiel Klimakleber versus Bauernproteste: Wer ist bedrohlicher aufgetreten? Die verletzliche Person auf der Fahrbahn oder die gigantischen Traktoren? Von wem ging mehr Gefahr aus? Von gut sichtbaren Protestanten oder bei Nacht und Nebel angekarrten Misthaufen? Wer hatte eher das Gemeinwohl im Sinn? Klimaschutz oder branchenspezifische Steuervorteile? Wer wird vom Staat mehr alimentiert? Klima-Aktivisten oder Landwirte? Und wer hat vor der Agrar-Lobby gekuscht? Die Presse!
Beispiel Automobilindustrie: Gepeppelt von einer milliardenschweren Abwrackprämie für eine längst überholte Techologie, die sie mittels eines Betrugs in gigantischem Ausmaß (Dieselskandal!) zusätzlich auf unverdiente Gewinne trimmt, verschläft sie die Wende der Antriebstechnologie komplett. Und wer zeigt weiterhin größtes Verständnis für die selbst heraufbeschworenen Sorgen der deutschen Autohersteller? Die Presse!
Beispiel Heizungen: Längst war klar, dass für uns als Importnation fossile Energieträger mit enormen Abhängigkeiten und Risiken einhergehen. Außerdem drängt auch der Klimawandel dazu, eher früher als später davon loszukommen. Wer einigermaßen vorausschauend agierte, hat sich darauf eingestellt. Dann trat mit dem Ukrainekrieg das befürchtete Szenario ein, nachdem die Bundesregierung zuvor von Blindheit geschlagen die Abhängigkeiten noch weiter vertieft hatte, und es wurde reichlich mit staatlichem Geld belohnt, wer sich um die Zukunft und Risiken nicht geschert hatte. Während diejenigen die Dummen waren und sind, die vorgesorgt und sich verantwortlich verhalten hatten. Danach verhindert die Lobby der Heizungsbauer ein Gesetz, das längst überfällige Maßnahmen vorsieht. Und wer stimmt in den Chor der Rückwärtsgewandten ein? Die Presse!
Die Journalisten machen ihre Arbeit nicht. Sie sollen aufklären, statt auf jene Stimmungslagen aufzuspringen, die sie selbst erzeugt haben. Sie sollen den Blickwinkel weiten, gerade dann wenn die Mehrheit den Blick verengt. Sie sollen ihre Eigenständigkeit bewahren, statt sich dem Zeitgeist unterzuordnen. Andernfalls braucht es sie nicht.