Boomer-Ignoranz in Vollendung!

Heinz Bude erklärt uns im Spiegel, was bei den Grünen falsch läuft und auch gleich noch, wie sie es besser machen könnten. Dabei fällt ein Satz, der allzu treffend ist:

„Man muss in schelcht bezahlten Tätigkeiten Boomern zu Diensten sein, die sich als Master of Universe aufspielen.“

Das gilt nicht nur für junge Leute in Deutschland, worauf sich die Passage bezieht, sondern für die meisten Menschen in der ganzen Welt und der zweite Teil des Satzes insbesondere für  Bude selbst. Selbstbewusst trifft er gewagte Aussagen, als handelte es sich um offensichtliche Wahrheiten, obwohl es sich nur um verfestigte Boomer-Logik handelt. Diese kulminiert in der typischen Ignoranz einer Generation, die jeden Wandel verhindert, um an ihren zerstörerischen Gewohnheiten festhalten zu können und sich dabei noch im Recht zu fühlen:

„Das ökoemanzipatorische Projekt stößt heute auf eine abgeklärte Gesellschaft, die sich darüber im Klaren zeigt, dass es, was das Klima angeht, fünf nach zwölf ist und dass wir, was die Demokratie betrifft, das liberale Zeitalter verlassen haben – und die Welt trotzdem nicht untergeht.“

Die abgeklärte Gesellschaft, von der Bude hier spricht, ist die Gesellschaft der Boomer, die ihr Leben in vollen Zügen genießt, sich nur für die eigenen Belange einsetzt und jedes noch so berechtigte Verlangen nach Fairness wegwischt: Rente, Vermögenssteuer, Heizung, Mobilität, Migration, Wehrpflicht, jedes erdenkliche Thema wird politisch zu Gunsten der Älteren geregelt, die mit allen Mitteln versuchen, ihr gewohntes Leben aufrecht zu erhalten und das alles auf Kosten jüngerer Generationen. Abgeklärt, das sind nur die Boomer, die sehenden Auges in die Apokalypse reiten, wohl wissend, dass sie die Folgen nicht zu tragen haben. Zu behaupten, dass „die Welt trotzdem nicht untergeht“, obwohl es doch, „was das Klima angeht, fünf nach zwölf ist“, zeugt von zynischer Ignoranz.

Bude weiß natürlich, dass die fürchterlichen Auswirkungen der Klimakatastrophe sich erst in ein paar Jahrzehnten einstellen, dann aber nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ebenso wie er weiß, dass die fürchterlichen Folgen des Illiberalismus uns erst noch bevor stehen, wenn wir ihn nicht gebändigt kriegen. Wenn sie so weiter machen, wird das die Welt sein, welche die Boomer uns hinterlassen: Wetterkapriolen, kolabierender Golfstrom, Hamburg unter Wasser gepaart mit einer autorkatischen Regierung flankiert durch milliardärshörige Medien. Als würden die schlechten Aussichten nicht genügen, rufen die Budes dieser Welt uns heute mit Genugtuung ins Gesicht, dass all ihre fahrlässige Selbstgerechtigkeit die Welt bis jetzt noch nicht hat untergehen lassen!

Ganz nebenbei spielt sich der „Master of Universe“, seines Zeichens emiritierter Professor für Soziologie, noch als Kenner der heutigen Jugend auf, ohne die soziologischen Untersuchungen seiner Kollegen auch nur zur Kenntnis zu nehmen, und schreibt:

„Junge Leute wissen schon, dass sie ihr Leben nicht in der Hand haben und dass man sich auf staatliche Absicherungen nicht zu sehr verlassen sollte.“

Richtig, die jungen Leute mussten feststellen, dass nicht sie ihr Leben in der Hand haben, sondern die Boomer, die sich vom Staat alles absichern lassen: Gaspreise, Pendlerpauschalen, Renten. Nur deshalb können sich die jungen Leute auf keine staatlichen Absicherungen verlassen! Das Geld ist schon vergeben.

Als die Fridays-for-Futures-Bewegung breite Aufmerksamkeit genoss, waren es die Boomer in allen Gremien und Medien, die ihre Anliegen allseits ausbremsten. Die grundlegende Erfahrung, die sich der jungen Generation dadurch einbrannte, lautet: Gegen den Egoismus der Boomer und ihre Dominanz in allen Machtpositionen kommst du nicht an. Kooperation, ohne die es in keiner Familie, keinem Verein und keiner Firma geht, gibt es im politischen Betrieb der Boomer-Republik nicht. Hier geht es nur um Selbstbehauptung und Egoismus. Sinnvolle Initiativen werden systematisch zerrieben, wenn es nur der eigenen Positionierung im politischen Schaukampf hilft und sei es nur vorübergehend, wie uns die FDP in aller persönlichen Eitelkeit und gesellschaftlichen Verantwortungslosigkeit vorgelebt hat.

Unvermeidlich hier das Heizungsgesetz zu erwähnen, wie es auch Bude tut. Zweifellos haben die Grünen hier dumme Fehler begangen. Aus der wissenschaftlichen Erkenntnis heraus, dass Verbote gerade die vulnerabelsten Gruppen vor kostspieligen Fehlentscheidungen schützen, ließ man sich, gut gemeint, aber naiv, zu einem paternalistischen Ansatz verleiten, der politisch genüßlich ausgeschlachtet wurde. Statt konstruktiver Kritik, wie man unsere Heizungsinfrastruktur zukunftsfähig machen kann, beschränkte man sich auf persönliche Angriffe, die Boulevardpresse (erschreckenderweise aber nicht nur sie) im Rücken, die bei gravierenden und kostspieligen Fehlern konservativer Politiker auffallend die Füße still hielt und hält. Was hat die Jugend auch hieraus gelernt: Im wichtigsten Gremium unserer Gesellschaft, dominiert von Boomern, geht es vorrangig darum, andere nieder zu machen, wann immer sich die Gelegenheit bietet, anstatt sich der zukunftsentscheidenden Probleme anzunehmen.

Wer sich wie Bude jetzt wundert, dass die jungen Leute nicht mehr Grüne wählen, kann zwei und zwei nicht zusammen zählen. Mit allen guten Absichten an der Blockade der Boomer gescheitert und bei jeder zukunftsweisenden Entscheidung im Stich gelassen, ist das einzige was noch bleibt, das was die Boomer vorleben: Egoismus. Alles andere wirkt angesichts der konzertierten Gegenwehr gegen jedwede sinnvolle Veränderung seitens Parteien, Lobbyverbänden und Medien naiv. Wenn sich konstruktiv nichts ausrichten lässt, dann eben destruktiv: also AfD

Ins Bild passt hier auch die ansteigende Beliebtheit der Linken bei jungen Wählern. Hier geht es auch nur um Selbstbehauptung angesichts hoher Mieten oder drohender Verluste bei den Sozialtransfers. Allem Selbstverständnis zum Trotz ist die Linke keine Partei der Solidarität, sondern bedient klar ganz egoistische Interessen und seit dem sie das ganz offen tut, gewinnt sie an Popularität in Zeiten, in denen jeder kooperative Geist aus der Gesellschaft gewichen ist.

Bude empfiehlt den Grünen nun, sich diesem Zeitgeist anzupassen und zu berücksichtigen, was laut Umfragen „der allgemeinen Wählerschaft wichtig ist.“ Offenbar hält er die Themen Klimaschutz, universalistische Werte und Gerechtigkeit für aus der Zeit gefallen, wenn Politiker, Medien und interessierte Gruppen die Themen Migration, Verbrenner-Aus und Rente offensichtlich absichtsvoll in Dauerschleife behandeln. Wichtige Themen sind für ihn diejenigen, ganz Soziologe, welche der Diskurs behandelt. Wäre er aber nicht noch mehr Soziologe, wenn er analysieren würde, wie es zum plötzlichen Wandel der Thematisierung bei gleichbleibender Problemlage kommt? Ist es eines Wissenschaftlers nicht unwürdig, sich vor denjenigen in den Staub zu werfen, die über Ressourcen, Macht und Interessen verfügen, den Diskurs zu setzen? Hat die heutige Soziologie jede Kritik gegenüber einer Gesellschaft aufgegeben, die ebenso geprägt von Boomern ist wie sie selbst? Ist das Zufall?

Statt Gesellschaftskritik oder zumindest -analyse bietet Soziologe Bude lieber den Grünen öffentlich gute Ratschläge an:

„Es gibt nach wie vor ein Wählerinnenpotenzial von 15 Prozent, aber das will mit einer neuen und anderen Botschaft bespielt werden.“

Es ist zu befürchten, dass er vom grünen Wählerpotential ungefähr so viel weiß, wie von der Jugend. Denn nicht zufällig liegen die Grünen wieder bei den rund 10 Prozent, auf die sie nach zwischenzeitlichen Hochs seit Jahrzehnten wieder zurückfallen. Sie haben eine Stammwählerschaft, die ungeachtet des Zeitgeists an bestimmten (auch grundgesetzlich verankerten) Werten und (etwa im Falle des Klimaschutzes auch verfassungsgerichtlich geforderten) Transformationszielen festhalten. Sich davon zu lösen, wäre für die Grünen existenziell so gefährdend, wie es das für die Gesellschaft insgesamt eigentlich auch ist.

Dem Zeitgeist hinterher zu rennen, würde nur dazu führen, von den anderen Parteien nicht mehr unterscheidbar zu sein, die das zur Genüge bedienen. Abgesehen davon, dass der Zeitgeist der Zeit ebenso nachhängt wie Bude selbst: denn China stillt seinen enorm wachsenden Energiehunger nicht nur mit neuen Kohlekraftwerken, sondern baut jährlich beinahe doppelt so viel Kapazität an regenarativer Energie auf als alle anderen Länder zusammen. Die Energie der Zukunft und das Geschäft mit ihr prosperiert im Fernen Osten, weil die Boomer unter Angela Merkel Solar- und Windenergieindustrie hierzulande an die Wand gefahren haben, als Deutschland darin führend war.

Recht hat Bude aber damit, dass weder die Grünen noch die Gesellschaft insgesamt darauf warten können, dass die Menschen schon zur Besinnung kommen werden, wenn die Klimakatastrophe dann unwiderruflich mit voller Härte über uns hereinbricht. Was braucht es also? Die Bewegungen für Klimaschutz, Gleichberechtigung und gegen unfaire Subventionen sind allesamt am realpolitischen Widerstand des finanzkräftigen Lobbyismus der etablierten Kräfte gescheitert. Flankiert von horrenden Einnahmen aus fossilen Industrien und von manipulativen Medienspielzeugen entrückter Milliardäre schüren machtgierige Politiker die Ängste der Boomer um ihren Wohlstand.

Wenn die Grünen diese Klientel erreichen wollen, und ohne die Boomer wird es nicht gehen, müssen sie deren Sinn für Gerechtigkeit und ihre Fürsorge für die nachfolgenden Generationen wecken. Sie müssen ihnen aufzeigen, dass wir alle von Kooperation gewinnen können, vielleicht nicht immer materiell, aber an Lebensqualität. Denn all ihr Geld wird den Boomern nicht reichen, um ihnen einen süßen Lebensabend zu bereiten inmitten einer von Egoismus geprägten Gesellschaft (ohne Migranten) gebeutelt vom Klimawandel. Sie müssen die Vernunft der Älteren reanimieren, die im selbstgerechten Zorn auf jede noch so kleine Zumutung verschüttet worden ist.

Denn sie brauchen die überzeugende, erfahrende, einflussreiche Stimme der Vernunft ausformuliert von Soziologen, von Professoren, von Intellektuellen, von den Eliten dieser Welt, um gegen den niederträchtigen Lobbyismus der unendlich sprudelnden Finanzquellen anzukommen, welche die einflussreichen Profiteure fossiler Energie-Erzeugung über all die Jahrzehnte angesammelt haben. Die Grünen brauchen von Bude keine Ratschläge, sie brauchen seine Besinnung auf die Vernunft. Sie brauchen Unterstützung dabei, eine Vision der Zukunft zu entwerfen, für die alle oder zumindest die Mehrheit bereit ist, ein Stück Egoismus aufzugeben, um die Früchte der Kooperation gemeinsam zu ernten: so wie in der Familie, im Verein oder in der Firma. Darin sehen dann auch die jungen Leute einen Sinn!

 

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