Was für eine Abfolge! Jahrzehnte lang verharmlost der Spiegel systematisch die Klimakrise. Lobenswerterweise druckt er 2024 selbst die entsprechende Analyse des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen dazu ab. Der attestiert im selben Zuge dann auch, dass sich die Berichterstattung seit 2019 einem realistischen Blick (zumindest in einschlägigen Texten) genähert habe. Danach folgt Monate lang Funkstille: keine Artikel mehr zur Klimakrise. Nicht einmal das drohende Kippen des Golfstroms ist eine Meldung wert. Und dann das: Frauke Rostalski, Mitglied des Deutschen Ethikrats, darf über die Sinnlosigkeit individuellen Engagements für den Klimaschutz schreiben, ohne einen anderen Weg zu weisen.
Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, Maßnahmen zum Klimaschutz, ob individuell, organisiert oder staatlich, kritisch zu hinterfragen, aber das Ganze möge doch bitte wenigsten logisch Sinn ergeben und nicht einfach die nächste Ausflucht fürs Nichtstun bieten. Wie schon mit der Verharmlosung assistiert der Spiegel erneut einer selbstgerechten Tatenlosigkeit im Angesicht der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.
Rostalski argumentiert perfide: Da die Einsparung von CO2-Emissionen die Preise für CO2-Zertifikate senke, sei sie sogar kontraproduktiv, weil Emissionen für andere damit billiger würden. Mit diesem Argument können wir gleich einpacken, weil das für alle Akteure in Europa gleichermaßen gelten würde. Nach dieser Logik könnte und sollte niemand jemals mit Klimaschutz beginnen.
Nur war die EU gar nicht dumm, wie Rostalski in völliger Ignoranz ausblendet, sondern arbeitet zugleich mit einer stetigen Verteuerung der Zertifikate im Laufe der Jahre. Das kann funktionieren, wenn die Preise angemessen hochlaufen und die Verharmloser und Kopf-in-den-Sand-Stecker vom Schlage einer Rostalski und rechter Parteien bis hin zur Union nicht ständig alle geeigneten Maßnahmen auszuhebeln versuchen.
Hier hat eine Professorin für Strafrecht offenbar den Emissionshandel nicht verstanden und hält alle daren mitwirkenden Wirtschaftswissenschaftler für Dummköpfe. Das mag daran liegen, dass sie fachfremd ist. Aber warum um Himmels Willen druckt der Spiegel so etwas?
Dann wäre da noch der zweite logische Fehler: Rostalski insinuiert, dass individuelle Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstosses in ihrer Wirkung vernachlässigbar sind. Sicherlich ist der Beitrag jeder einzelnen Person winzig (wenn wir von den Reichen und Superreichen, die teilweise vieltausendfache Emissionen erzeugen, absehen), aber er ist eben nicht vernachlässigbar, weil es die Masse macht. Jedes Unternehmen weiß, dass es auf den einzelnen Kunden ankommt. Wenn morgen auch nur ein einigermaßen großer Teil der Menschen aufhört, ein bestimmtes Produkt zu kaufen, bekommt der Hersteller massive Probleme. Wenn sie das Vertrauen in eine Währung verlieren, versinken Staaten im Chaos. Wenn sie die Reisen in ein bestimmtes Land einstellen, hat das erhebliche wirtschaftliche Folgen. Alles, was auf diesem Planeten geschieht, geht schlussendlich auf Handlungen von Einzelpersonen zurück, die für sich vernachlässigbar sind. Aber eben nicht in der Masse! Ebenso ist es die ungeheuerliche Menge an Handlungen, die auf fossile Rohstoffe zurückgreifen, die unseren Planeten zerstören. Und wenn wir deren Zahl reduzieren, sinken die CO2-Emissionen. Mit jeder einzelnen!
Natürlich könnten wir jetzt auch so lange nichts tun, bis alle mitmachen, aber dann können wir lange warten. Wobei: mittlerweile nicht mehr so lange. Die meisten von uns werden es noch erleben, dass das Wetter solche Kapriolen schlägt, dass ein allgemeines Umdenken einsetzen wird. Dank Rostalski und Konsorten wird der Anstieg um drei Grad schon bis 2050 erreicht werden und es wird richtig ungemütlich.
Wenn das Umdenken dann die Mehrheit erfasst, wird die Frage sein, wie schnell können wir radikal Gegensteuern und wer kann dafür die nötigen Technologien und erprobte Vorgehensweisen bieten. Wer dann noch auf dem Stand von Vorgestern ist, wird wirtschaftlich am stärksten leiden. Wie schon heute die deutsche Autoindustrie, die sich mit all ihrer Lobbykraft gegen die Zukunft stemmt. Nicht nur in China laufen die Verkäufe von Elektroautos rasant hoch, sondern auch in vielen Schwellenländern, von denen man es nicht vermuten würde: In so unterschiedlichen Ländern wie Kenia, Thailand oder Costa Rica erleben Elektroautos einen enormen Aufschwung.
Darüber hinaus wiederholt Rostalski den mittlerweile doch in die Jahre gekommenen rechten Vorwurf „nationaler Alleingänge“, obwohl das Bremsen konservativer Regierungen dafür gesorgt hat, dass Deutschland jetzt in vielen Bereichen (auch im inner-europäischen Vergleich) hinterher hinkt, während China die gefragten Zukunftstechnologien in alle Welt exportiert. Bevor Angela Merkel an die Regierung kam und auf die Bremse trat, war Deutschland bei Solarenergie und Windkraft führend. Außerdem hat sie im Sinne der mächtigen Verbrennerlobby unter anderem durch hinterher geworfene Steuergelder (Abwrackprämie) dafür gesorgt, dass die deutsche Autoindustrie keinen Anlass für Forschung an Zukunftstechnologien gezeigt hat, und jetzt wohl abgehängt wird.
Emissionshandel kann funktionieren, Zukunftstechnologien können sich lohnen und individuelles Verhalten macht einen Unterschied. Was denn sonst? Wer das anders sieht möge das bitte begründen und nicht nur behaupten. Ja, jede einzelne Person macht nur einen winzigen Unterschied, aber die ganz großen Hebel gibt es gar nicht. Auch in China verbrauchen schlussendlich einzelne Personen Energie und auch die dort in großen Fabriken produzierten Produkte werden von einzelnen Personen in aller Welt gekauft. Wenn es einen anderen Weg aus der Klimakrise gibt, dann möge man den bitte aufzeigen. Wir alle wären dankbar. Aber sich über die Mühsal zu beklagen, wirtschaftliche Zusammenhänge nicht zu verstehen und deshalb vorzuschlagen, wir sollten tatenlos auf die Apokalypse zusteuern, ist eines Mitglieds des Ethikrats unwürdig. Wenn das Leben auf der Erde in den nächsten Jahrzehnten dann tatsächlich in Mühsal und Pein umschlägt, dann wird es darum gehen, ob wir der Klimaerwährmung bei drei, vier, fünf Grad oder gar nicht mehr Einhalt gebieten können. Dann wird es um jede Tonne gehen, die wir nicht ausgestossen, und jede Technologie, die wir zur Marktreife gebracht haben.
Nicht erst seit dem neuerlichen Rückfall des Spiegel in die Klimawandelvergessenheit fragen mich meine Kinder, warum ich diese Zeitschrift noch lese. Aus deren Sicht gehört auch dieses Nachrichtenmagazin, das sich für so progressiv hält, zu den Ewiggestrigen. Tatsächlich gehen mir langsam die Argumente aus. Wenn erstaunt berichtet wird, dass KI massenweise zur Generierung von Unterhaltungsfilmchen und zur Verbreitung von Falschnachrichten genutzt wird, fragen sich nicht nur Jüngere verwundert: Ja, was dachtet ihr denn? Wenn sich die Berichterstattung sich wieder seitenlang an Personen statt an inhaltlichen Fragen abarbeitet, kommt die Frage: Liegt nicht genau hier das Problem? Wenn der Reiseteil sich wieder wie Werbung liest, bleibt nur noch Kopfschütteln: Wo liegt der Unterschied zu Influencern?
Damit mir noch ein letztes Argument bleibt, wäre es schön, wenn der Spiegel wenigstens nur Texte abdrucken würde, die sich um bekannte und erwartbare Gegenargumente zumindest scheren. Noch so ein Artikel wie der von Rostalski und ich fürchte, ich kann die Ausgaben für das Abo nicht mehr rechtfertigen. Grob fahrlässiges Sägen an der Zukunft meiner und vieler anderer Kinder ist verantwortungslos.