Was ist bloß, bei den Leserbriefen im Spiegel los? Die Redaktion bekommt massig Zuschriften und was wählt sie aus? Ignoranz pur.
Da beschreibt Christoph Möllers, Professor für Verfassungsrecht, in einem aufrüttelnden Artikel, wie die Rechten bis hin zur Union auf unsägliche Weise den Rechtsstaat erst diskreditieren, dann politisch unterwandern und ihn schließlich gefügig machen, und dann druckt der Spiegel Leserbriefe dazu ab, die sich mit dem beschriebenen Problem gar nicht befassen. Als ginge es um eine Kleinigkeit und nicht den Kern unserer heutigen gesellschaftlichen Stabilität.
Da darf eine Person, die einen Dr.-Titel angibt, in gestelzter Sprache klagen, dass sie den Artikel nicht verstanden hat, obwohl sich Möllers verständlich und mit anschaulichen Beispielen ausgedrückt hat, nur eben nicht auf dem plumpen, plakativen Niveau wie es aus der Welt der Kurznachrichten mittlerweile überall einsickert. Eine andere Person darf darauf hinweisen, dass das Verfassungsgericht nur einen geringen Prozentsatz aller Gerichtsurteile spricht, als wäre das nicht selbstverständlich und müsste es nicht auch genau so sein, womit der völligen Ignoranz gegenüber der Bedeutung des Verfassungsgerichts und auch gegenüber der brisanten Kernaussage Möllers eine Bühne geboten und vom Problem abgelenkt wird. Dann darf eine Person ohne jeden Anhaltspunkt eine Verschwörung insinuieren. Und schließlich druckt der Spiegel noch eine Beschwerde ab, dass an einer Stelle nicht das generische Maskulinum verwendet wurde, weil ein Ewiggestriger noch nicht mitbekommen hat, dass das mittlerweile auch eine gängige Möglichkeit ist, unsere eingefahrenen männlichen Assoziationsmuster bei Berufsnennungen zu durchbrechen.
Insgesamt fällt auf, dass der Spiegel in Leserbriefen gerne Nichtigkeiten, Unbegründetes und Emotionales oder gleich Lobpreisungen seiner Artikel abdruckt. Es ist nicht anzunehmen, dass nur solcherlei Rückmeldungen dort ankommen. Und selbst wenn es sich dabei um ein Abbild der mehrheitlichen Zuschriften handeln sollte, wäre doch eine Auswahl mit mehr Substanz interessanter und würde nicht argumentativen Entleerung eine weitere Bühne geboten. So aber verkommen auch die Leserbriefe zu dem, was wir online schon überall antreffen: Dumpfe und überzogene Kurzschlüsse überdecken jeden spannenden Gedanken, weil sie sich schnell und einfach formulieren lassen und Anhänger solcher Denkart offenbar das gerne auch in unendlicher Wiederholung in die Welt posaunen. Wenn auch ein Nachrichtenmagazin das in seinen Leserbriefen dominieren lässt, dann braucht es die Rubrik nicht.
Auch sonst verstärkt sich der Eindruck, dass der Spiegel glaubt, solcherlei Denkart Raum geben zu müssen, indem er Artikel und Kommentare veröffentlicht, die sich sichtlich darum bemühen, gewissen Stimmungen in der Bevölkerung nach dem Munde zu reden, ohne sich Tatsachen und Gegenargumenten zu stellen. Genau mit diesem Ansatz haben es die Rechten geschafft das Internet zu dominieren. Einfach so lange wiederholen, was den Leuten schmeichelt, bis es zur autosuggestiven Gewissheit erstarrt ist, und jeglichen Einwänden mit einfachen Parolen ohne Substanz begegnen.
Wenn der Spiegel sich nun auch darauf einlässt, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich selbst der Überflüssigkeit in die Arme geworfen hat. Sein Alleinstellungsmerkmal war und ist es nicht, zu schreiben, was den Leuten gefällt, sondern was Rudolf Augstein ihm ins Stammbuch geschrieben hat: „Sagen, was ist!“ Und zwar auch dann, wenn es dem Publikum nicht gefällt. Ein Blick in die USA sollte bewusst machen, dass ein Nachrichtenmagazin, das diesen Namen verdient, angegangen werden wird, wenn diejenigen an die Macht kommen, denen all das nichts wert ist, auf dem seine Arbeit aufbaut: Gewaltlosigkeit, Tatsachenorientierung, Wahrhaftigkeit, Argumentation, Rechtsstaatlichkeit.
Anbiedern ans rechte Leugnen, was nicht in den Kram passt, wird den Spiegel nicht retten. Ebenso wenig wie die Union, die mit dem Aufgreifen rechter Themen und Strategien nur deren Legitimierung erreicht, um dann von denjenigen hinweg gefegt zu werden, die sich aufs Verdrehen, Zurechtlügen, Hassen und Macht missbrauchen besser verstehen. So wie in den anderen Ländern auch.