Die Neu-Auflage der Dolchstoßlegende

Jetzt strickt der Spiegel also auch mit an der Neu-Auflage der Dolchstoßlegende: René Pfister gibt den Linken die Schuld am Aufstieg der Rechten und dem Niedergang der Demokratie. Typisch rechts bedient er sich auch gleich eines unverhältnismäßigen Vergleichs: Er stellt die Absetzung Julia Ruhs derjenigen von Jimmy Kimmel gegenüber. Als wäre das eine nicht ein interner Vorgang in einem Medienhaus, wie es ihn zu Hauf gibt, und das andere nicht von der Regierung herbei geführt und somit die (Selbst-) Unterwerfung der Medien. Im einen Fall will ein Sender journalistische Standards wahren, im anderen erweist ein Medienkonzern vorauseilenden Gehorsam gegenüber einem Möchtegern-Autokraten, wobei nur die Angst vor Umsatzverlusten Kimmel zurück auf den Bildschirm gebracht hat. Das also ist die letzte Verteidigungslinie gegen Gleichschaltung. Na dann, gute Nacht!

Die neue Dolchstoßlegende wird getragen von Unverhältnismäßigkeiten: Weil es Menschen gibt, welche die Schöpfung bewahren wollen (auch durch Klimaschutz), welche sich für das Selbstbestimmungsrecht einsetzen (auch in Fragen des Geschlechts), welche sich Gleichberechtigung (auch in der Sprache) wünschen, welche die Anwendung der Menschenrechte fordern (auch bei Ausländern), handelt es sich dabei natürlich um eine linke Agenda statt um schlichte Folgerungen aus dem Grundgesetz. Wegen solchen Wünschen von Selbstverständlichkeiten, wie sie andere ohnehin genießen (Selbstbestimmung, Menschenrechte, sprachliche Berücksichtigung) oder genossen haben (Klima), hält man es dann für naheliegend und gerechtfertigt, darauf mit Rassismus, Sexismus, Faschismus und autokratischen Ambitionen zu reagieren.

Schuld wird auch den Medien gegeben, die angeblich so linkslastig seien, als würden nicht Fox News, Bild und Co den Diskurs bestimmen, assistiert durch Medienspielzeuge von Superreichen wie X oder Nius, wobei das Geld zu einem guten Teil aus zweifelhaft vergebenen Staatsaufträgen stammt. Es mag ja sein, dass insgesamt mehr Medienschaffende den Grünen als der AfD nahe stehen, weil es (noch) mehr Medienhäuser gibt, die journalistische Standards ernst nehmen. Die größere Reichweite haben aber immer schon die wenigen einflussreichen Boulevard-Medien, die Fake News verbreitet haben, lange bevor das Wort erfunden war. Schuld am Aufstieg der Rechten sollen also diejenigen sein, die noch Wahrheitsansprüche hegen statt schlicht eigene Agenden zu verfolgen, Fakten recherchieren statt erfinden und Argumente abwägen statt alles auf Migration zu reduzieren.

Wer sich wundert, warum Ruhs abgesetzt wurde, hat entweder jegliche journalistischen Ansprüche aufgegeben oder hält jede Meinung für gleich berechtigt, egal wie gut begründet sie ist. Tatsächlich haben sich ja viele vom Kampf der Argumente verabschiedet und führen nur noch einen Kampf der Meinung, wobei eine völlig irrationale Meinung ebenso viel gilt wie eine wissenschaflich gut belegte. Politik ist deshalb längst nicht mehr Ringen ums Richtige, sondern nur noch darum, was unabhängig vom Wahrheitsgehalt der eigenen Meinung gerade am meisten schmeichelt. Und daran sind natürlich diejenigen Schuld, die sich um Wahrheit und Fakten noch scheren und nicht diejenigen, die alles so verdrehen, wie es gerade für ihre Agenda passt. Ja klar, Herr Pfister!

Wenn aber jemand Schuld am Niedergang von Demokratie und Wahrhaftigkeit ist, dann sind es Menschen wie Sie, die glauben, dass Journalismus dazu da ist, die Meinung der Menschen abzubilden, selbst wenn diese verlogen und faschistisch ist, und nicht dazu, möglichst wahrheitsgemäß Informationen zu liefern, damit die Meinung der Menschen nicht jeden Wahrheitskontakt verliert. Wenn es nach Ihnen geht, hat der nationalsozialistische Stürmer seine journalistische Pflicht erfüllt und die Meinung des antisemitischen Bevölkerungsteils angemessen wiedergegeben. Tatsächlich aber haben die NS-Propaganda-Instrumente eben jene verlogenen Meinungen erst gestärkt, mit denen sie ihre Macht erlangt und gefestigt haben.

Die Aufgabe von Journalisten kann nicht sein, jegliche verbreitete Meinung abzubilden, sondern sie muss zu allererst darin liegen zu informieren. Insofern lag der Fehler des NDR nicht in der Absetzung von Ruhs, sondern in ihrem Engagement. Dass die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, nur Meinungen bedient, ohne zu informieren, und eine Agenda verfolgt, war schon vorher klar.

 

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