Der politisch orientierungslose Politikwissenschaftler

Hallo Herr Manow, hallo Spiegel-Redaktion,

Dass sich die Kategorien links und rechts auflösen ist für die Politikwissenschaft jetzt nicht die allerneueste Nachricht, vielmehr wird das seit den 1990er Jahren beobachtet. Aber das wissen Sie, viel belesen, wie Sie sind. Was also wollen sie dann?

Über viele Absätze hinweg wühlen Sie sich argumentationsfrei durch Wort- und Satzhülsen: „Die Mitte ist der Fetisch bundesrepublikanischer Politik“, schreiben Sie. Ist das so? Beleg? Fehlanzeige!

„Deutschland ist eine Mittelmacht in europäischer Mittellage“, steht da wenig später, als stünde das in irgendeiner Weise mit einem Fetisch politischer Mitte in Verbindung. Es ist aber nichts anderes als eine in diesem Zusammenhang völlig irrelevante Binsenweisheit. Sie argumentieren nicht, sondern schwurbeln von der Notwendigkeit neuer Begriffe.

Was also bieten Sie an? „Die Rede von der Mitte verstellt den Blick auf diese neuen Realitäten“, schließen Sie. Und wie sehen sie aus, diese Realitäten? Wo immer Sie den Fetisch der Mitte desavouiert zu haben glauben, kommen Sie nicht etwa zu völlig neuen Begriffen oder Überlegungen, sondern übernehmen schlicht die Phrasen der Rechten, die Ihr Text so perfide aus der rechten Ecke zu holen versucht: „Diese Mitte ist, was sie selbstverständlich vehement bestreitet, ein Pol. Sie hat sich heutzutage sowohl in der gesellschafts- wie auch in der wirtschaftspolitischen Dimension äußerst liberal positioniert“, sekundieren Sie da. Belege? Wieder Fehlanzeige!

Wie auch? Es ist ja nur ein rechtes Hirngespinst: Menschenrechte und Gleichberechtigung bilden keinen liberalen Extremismus, sondern Grundlage des Zusammenlebens. Wer das anders sieht, kann sich ja gerne seiner Rechte begeben. Krankenversicherung und Umweltschutz sind alles andere Leuchttürme des Liberalismus, sondern Ergebnis völlig anderer Traditionen. Subventionen und Arbeitslosenunterstützung wiederum stehen so ziemlich für das Gegenteil von Liberalismus. All das Macht jene Mitte aus, die sich um Etiketten schon deswegen nicht schert, weil sie in ihrer Heterogenität keine Einheit bildet, schon gar keine liberale.

Ja, links und rechts funktionieren schon lange nicht mehr als brauchbare politische Kategorien. Die Mitte als „äußerst liberal“ zu bezeichnen, ist in Ihrem Fall aber kein Missverständnis, sondern Missbrauch, denn als Professor für Politische Ökonomie wissen Sie selbstverständlich, das das Unsinn ist. Folglich verwischen Sie mit Absicht alle Konturen. Statt dessen übernehmen Sie eins zu eins die Narrative der Spalter und verkaufen es als völlig neue Perspektive. Sie sind, was Sie selbstverständlich vehement bestreiten, eine Echokammer. Sie wiederholen nur, was die braunen Spatzen von den Dächern pfeifen. Deshalb gilt Ihr Schlusssatz fast wortgleich auch für Sie: „Wer aber analytisch hilflos ist, ist (..) zumeist auch politisch“ orientierungslos.

„Wohnt in der Mitte noch die Mehrheit?“ fragen Sie, um dann die Mitte am äußerst liberalen Pol zu verorten und ihre „populistischen Gegner“ schlicht als „illiberal“ einzustufen, womit die Mitte schonmal nicht mehr in der Mitte liegt. Ein Manöver, mit dem Sie bei Logikern wohl eher nicht punkten dürften, dafür umso plumper den rechten Rand mit einem Taschenspielertrick näher an die begehrte Mitte zu rücken versuchen.

Machtpolitisch spielt es eine große Rolle, wo die Mitte verortet wird, weil viele Wähler sich tatsächlich gerne in der Mitte sehen. Analytisch dagegen ist dies nicht von belang, weil mit Mitte keinerlei qualitative Aussage verbunden ist. Analytisch ist Ihr Text somit unerheblich, politisch beteiligt er sich dafür an einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Man schreibt sich eine illiberale Mitte herbei, mit der man die Mehrheit lockt. Unter dem Deckmantel der Analyse unterbreitet man der Mehrheit Angebote – Angebote zur Spaltung: nicht nach rechts und links, nicht nach liberal und illiberal, nicht nach Mitte und Rändern, sondern nach wir und die anderen, nach homogen und heterogen, nach denen die sich für die Normalen, Starken und Echten halten gegen die Andersartigen, Schwachen und Unechten.

Autoritarismus, und darauf läuft ein solches Denkmuster immer hinaus, ist kein Konzept des Zusammenlebens, sondern eines der Spaltung. Es ist die Herbeiführung von Gruppenloyalität auf Kosten anderer Gruppen, einfach indem man allen Angst macht, auf Seiten der Ausgestossenen zu stehen, wenn man sich nicht konform verhält. Es ist Mobbing im großen Stil.

 

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